An dieser Stelle werden in loser Reihenfolge wissenschaftliche Texte und künstlerische Beiträge veröffentlicht. Die Vielfalt ihrer Themen und Formen, ihrer theoretischen und methodischen Ausgangspunkte wird durch die gemeinsame Arbeit an den Bausteinen einer Poetik des europäischen Wissensraums, an seinen Traditionen und Perspektiven, gebunden. Den vorliegenden Essays, Reflexionen und Kritiken ist gemeinsam, dass sie von ihrem jeweiligen Arbeitsgebiet aus und auf je individuelle Weise Fragen nach dem Stellenwert, den Verlaufs- und Darstellungsformen des Denkens stellen. So werden hier keine Einzelstudien zum Thema Europa präsentiert, sondern mit jedem Beitrag selbst manifestiert sich ein Baustein jener Struktur, die ein Denken trägt und in Bahnen lenkt, das man summarisch als "europäisch" bezeichnen kann. Es ist also die Lektüre, die Reflexion und die Diskussion der Texte und Bilder mit der sich bereits in einem ersten Schritt eine Poetik des Wissensraums realisiert. Nach Erscheinen des ersten Jahrbuchs im Verlag Wilhelm Fink und den éditions MSH, werden an dieser Stelle auch Diskussionen fortgeführt, die durch das Buch ausgelöst werden. Die Herausgeber von transversale freuen sich über Texte und künstlerische Beiträge, die zur Ausgestaltung dieser Arbeitsplattform im Internet beitragen. Sollten Sie ein Thema oder einen Text vorschlagen wollen, wenden Sie sich an die Herausgeber. Bitte beachten Sie auch unsere Richtlinien für Textbeiträge.

Neue Korrespondenzen
Neue Splitter

Neue Beiträge


EUROPA BEFRAGEN

Die folgenden vier Beiträge sind Audio-Mitschnitte einer von Jens E. Sennewald und Nicolas Hubé konzipierten Reihe transversaler Diskussionsveranstaltungen in der Bibliothek des Centre Culturel Suisse Paris, die am 4, 11, 18 und 25.10.2007 jeweils um 18 Uhr stattgefunden haben.

Kann es eine Phänomenologie europäischen Denkens geben? Kann Europa gestaltet werden? In der Diskussion um die Zukunft Europas kann es nicht darum gehen, ein "besser konzipiertes Europa" einem entgegenzuhalten, dem es vorgeblich "schlecht geht". In der Diskussion um die möglichen Formen Europas schlagen wir vor, statt Europa als Gegenstand zu diskutieren, vielmehr Fragen nach dem Europäischen, nach einem europäisch geprägten Denken zu stellen. Fragen, die, auf der Suche nach einer Phänomenologie des Europäischen, ein Echo finden mögen in der Erfahrung eines zeitgenössischen Europa.


IDENTITÄT

Unter dem Oberbegriff "Identität" diskutierten der Fotograf Charles Fréger und der Soziologe Willy Beauvallet am 4.10.2007 Fragen wie: Ist darstellen identifizieren? Erlangen wir unser Wissen notwendigerweise über ein Verständnis der Welt?
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MONDIALISIERUNG

Unter dem Oberbegriff "Mondialisierung" diskutierten die Künstlerin Latifa Echakhch und der Philosoph Jens Badura am 11.10.2007 die Frage: Sind wir Marionetten oder Puppenspieler? Die Diskussion wird dem Begriff der "Welt" nachgehen und dessen Rolle für die Darstellung unserer aktuellen Lebenswelt, für die Entwicklung des "curating", die Zunahme der Biennalen (12 vor 8 Jahren - 110 heute) und für eine Globalisierung der Kunst, die ein Gesicht gebildet hat für etwas, das zuvor nichts war als ökonomische Beziehungen.
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SEIN UND HABEN

Unter dem Oberbegriff "Sein und Haben" diskutierten der Komparatist Franck Hofmann und der Philosoph Gunter Gebauer am 18.10.2007 die Frage: Was ist Erfahrung? Wo sind die Orte unseres Denkens? Die Diskussion wird den Vorstellungen von Gegenwart und Zukunft nachgehen und der Weise, wie wir diese in Bezug auf den Raum darstellen.
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VERGESSEN

Unter dem Oberbegriff "Vergessen" diskutierten der Künstler Mircea Cantor und der Kunstkritiker und Architekt Thibaut de Ruyter am 18.10.2007 Fragen der Erinnerung und der Zeugenschaft und die Möglichkeiten, Erfahrung zu bewahren und zu vermitteln. Brauchen wir Denkmäler? Welche Form der Darstellung haben Erinnerungen? Was ist Wirklichkeit jenseits ihrer Bilder?
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Zum Konzept der Kinesphäre bei Rudolf von Laban, Richard Buckminster Fuller und William Forsythe
von Kirsten Maar

Der Beitrag untersucht relationale Räumlichkeiten, die sich aus dem Modell der Kinesphäre in Form des Ikosaeders ergeben. Ein Modell, wie es sowohl bei Rudolf von Laban als Um-Raum des Tänzers als auch in der Architektur bei Buckminster Fuller im Zuge seiner Überlegungen zum Tensegrity-Prinzip entwickelt und bei William Forsythe transformiert wird. Die Kinesphäre stellt - als Raum und als Verlaufsformel zeitlich-räumlicher Erfahrung, die sowohl zur Generierung von Bewegung dient, als auch selbst aus ihr entwickelt ist - ein übertragbares Modell dar, das aber keinesfalls unabhängig existiert, sondern sich ständig verschiebt, sich mit anderen trifft, überschneidet und durch sie transformiert wird.


Michèle Métail : rythmes urbains & paysages
von Lucie Méar

Lucie Méar stellt in ihrem Beitrag die studierte Germanistin, promovierte Sinologin und Sprachmeisterin Michèle Métail als Autorin, Reisende und Performerin vor, deren aus der erkundenden Bewegung entstehenden Arbeiten sie als Teil eines weltweiten poetischen Nomadismus charakterisiert. Dabei geht sie insbesondere auf den Text Rue(s) de Berlin & Allée ein, der in transversale Nr. 2 veröffentlicht ist.


Zwischen Mythos und Metapher. Kulturwissenschaftliche Philologie als Spazierung nach Auerbach und Warburg
von Franck Hofmann

Die Programme von Erich Auerbach und Aby Warburg berühren sich, so wird hier behauptet, durch die Rolle des Individuums und die Akzentuierung seiner forschenden Praxis, durch die ihr verbundenen Dimensionen sinnlicher Erfahrung, die in einer spezifischen Verlaufs- und Darstellungsform zum Ausdruck kommt. Treffen sie sich nicht in dem Punkt, an dem sie nach einem möglichen Ort von Texten und Bildern nach dem Verlust räumlicher Gewissheit fragen? Nach einem Ort, der nicht der auf Verwurzelung gerichtete Grund der Nation und nicht der von Archivierung und akademischer Disziplinierung ist, sondern sich im Umgang mit den Praktiken und Zeugen symbolischer Kultur, in ihrer sinnlicher Erfahrung je neu und anders bildet: wenn die Erde als philologische Heimat, die Bibliothek als bewegliche Konstellation kulturwissenschaftlicher Befragung Effekte der Frage nach dem Menschen sind - wäre dann nicht der Spaziergang durch beide ein herausragender Modus kulturwissenschaftlicher Philologie, in dem Dimensionen der Erfahrung dessen forschender Befragung verbunden sind?


Verantwortung des Sinns
von Jean-Luc Nancy

In seinem Text, einem Vortrag, den er in französischer Sprache im April 2000 im Rahmen einer Tagung im Hamburger Warburg-Haus gehalten hat und der von Jadja Wolf übersetzt worden ist, behandelt Nancy die Frage nach der "Verantwortung des Sinns". Ausgehend von der Annahme, dass jeder Akt des Schreibens Bestandteil eines Dialogs ist, dass der Schreibende antwortet, entwickelt Nancy eine Ethik des Schreibens. Er gelangt so zu einem trans-dekonstruktivistischen Schrift-Begriff, der den Schreibenden als Ich im Widerhall des Anderen situiert und auf diese Weise ein "engagiertes Schreiben" darin finden kann, auf den in jedem Schreiben enthaltenen Ruf zu antworten, indem die Antwort dem Anderen zum Ruf wird. In dieser doppelten Verschränkung des Schreibenden mit sich und dem Anderen sieht Nancy das Wissen der Schrift - als Verantwortung zum Nicht-Wissen.


Interview Hans-Ulrich Obrist : Cedric Price (2001)
von Hans-Ulrich Obrist

Mit dem Stichwort "glokal" umschreibt Hans-Ulrich Obrist seinen Versuch, "Kunst als Lebensraum neu zu erfinden, Orte zu schaffen, in denen man sich verlieren kann." Mit seinen Projekten zwischen Kunst und Wissenschaft geht es ihm um die Erfahrung, dass "jede Wahrheit von anderen Wahrheiten umgeben ist, die es wert sind, erforscht zu werden." Die Arbeit mit Künstlern begreift der Kurator als pluridisziplinäre Erkundung der Möglichkeiten von Wissen, als durchdachte "Flanerie". Eine von Hans-Ulrich Obrists Methoden ist das Künstler-Interview, inzwischen zu einer umfangreichen Sammlung von Video-Aufnahmen angewachsen. Für transversale hat er den Mitschnitt eines Vortrags des britischen Architekten Cedric Price zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der von Obrist kuratierten Ausstellung "Retrace your steps: Remember Tomorrow" am Sir John Soane's Museum, London (1999/2000) hat Price diesen Vortrag gehalten, in dem er nicht nur auf humorige Weise die Frage der Architektur vom Essen aus stellt. Die von uns gewählten und mit Zwischentiteln versehenen Ausschnitte des 45minütigen Videos zeigen zudem einen Architekten, der sich in den starren Strukturen des Zitierens verfängt, um dann durch eine leichte Bewegung des Denkens ihnen wieder zu entkommen. Der besondere Reiz dieses Vortrags-Ausschnittes besteht in der Schluss-Aussage, wonach einer der wichtigsten Parameter der Architektur die Zeit der Zubereitung und der Aufnahme des Essens sei. Von dieser Konklusion ausgehend wird rückblickend erkennbar, dass schon der scherzhafte Hinweis auf die während des Vortrages stattfindende Zubereitung des Essens Price mitten in das Thema führt - wie auch der Umstand, dass er den Vortrag in der ehemaligen Küche des Hauses hält. Eng verbunden mit dem Essen ist die Melancholie, für Price mit Bezug auf Byron ein "Moment der Zeit-Speicherung", der sich für Schreiber wie Leser eines Buches im Prozess von dessen "Zubereitung" auftut. Beide Gedankenfiguren, Zeit des Essens und Melancholie, fließen geradezu choreographisch in Price's Lektüre eines Zitats von Buckminster Fuller zusammen, in dem von der rückwärts laufenden Zeit die Rede ist, während sich über das Publikum angesichts der Mühe des Vortragenden, das Zitat vorzulesen, melancholische Stille legt. - Wir stellen außerdem eine Kopie des anlässlich der Ausstellung "TheSpace@inIVA" am Institute of International Visual Arts in London (2001) erschienenen Faltblatts bereit, das ein Interview von Hans-Ulrich Obrist mit Cedric Price enthält. Price bearbeitet seit den sechziger Jahren die Dynamiken des Gebauten, dessen Verfall, dessen Veränderungen und Entwicklungen durch die Zeit. Der im Jahr 2002 im Alter von 68 Jahren verstorbene Price gilt als einflussreichster Einzelgänger seiner Generation: von Richard Rogers über Norman Foster bis Archigram lassen sich seine Spuren verfolgen.


Hier : immigrer et couper les racines ; aujourd'hui : circuler et garder le contact
von Dana Diminescu

Migration kann in der aktuellen, durch Medien, Globalisierung und weltweiten Tourismus geprägten Weltgesellschaft nicht mehr allein als Umherirren Entwurzelter gesehen werden. Sie ist zu einem Lebens-Stil geworden. Migranten sind heute in der Lage, ihre Kulturbindungen durch Telekommunikation aufrecht zu erhalten. Mobilität hat zur Entwicklung einer Kultur des Bandes und zu einer neuen Qualität der Kultur-Bindung geführt. Der Beitrag konzentriert sich auf die positiven Seiten der Migration und skizziert Linien einer Migrations-Forschung, die das kulturelle Potenzial und die eigenständigen Stile moderner urbaner und transnationaler Mobilität berücksichtigt und so Mobilität als neue Qualität der Kulturtechnik begreifbar macht, mit der auch die dunklen und problematischen Seiten der Migration (Schlepper, Prostitution) auf andere Weise kritisch in den Blick genommen werden können.